Die Bedeutung des Wortes und die Bewertung der Päderastie war in der Geschichte Wandlungen unterworfen. Der Begriff bezeichnete ursprünglich das Bestehen zeitweiser erotisch-sexueller Beziehungen zwischen erwachsenen Männern und postpubertären Jugendlichen.
Inhaltsverzeichnis
Päderastie in Griechenland[Bearbeiten]
Päderastische Werbungsszene |
Päderastie war in Griechenland streng reglementiert sie stand nur Bürgern (nicht jedoch Sklaven und Fremden) offen. Dies allerdings nicht in ganz Griechenland. Landstriche wie Ionien lehnten die Päderastie ab. Wegen des hohen Zeitaufwands und der wiederholten Schenkungen war die Päderastie zudem in erster Linie ein Privileg der Aristokraten.
Bei den Knaben handelte es sich zumeist um Jugendliche, die ihre Geschlechtsreife bereits hinter sich gelassen hatten, also nicht um Kinder.[1]
Päderastie in der griechischen Gesellschaft[Bearbeiten]
Der jugendliche Partner einer päderastischen Beziehung wurde Eromenos genannt, was soviel bedeutet wie „der geliebt wird“ bzw. „Geliebter“. Er sollte jungenhaft und zurückhaltend sein, wodurch er das Interesse der Männer auf sich zog. Mit dem Beginn der Pubertät und auf der Schwelle zum Erwachsensein, angefangen im Alter von ungefähr 12 Jahren, wuchs die Attraktivität eines Jungen stetig und erreichte mit ca. 15 oder 16 Jahren ihren Höhepunkt, bis er schließlich etwa 18 Jahre alt war und somit als erwachsen galt. Begehrt wurden diese Jungen von den Erastai (Sg. Erastes), „Liebende, Liebhaber“, die oft wesentlich älter waren und für die es keine Altersgrenze gab. So waren sie meist 20 bis 30 Jahre alt und unverheiratet. Die päderastische Praxis spielte sich also in einem Zeitraum ab, die dem verheirateten Leben mit einer bürgerlichen Frau vorherging. Die Möglichkeit, in einer Beziehung Eromenos und in einer anderen Erastes zu sein, war dabei durchaus gegeben. Oft mündeten diese Bindungen in eine lebenslange Freundschaft.
Für einen Eromenos bedeutete es ein hohes Maß an gesellschaftlichem Aufstieg, von einem angesehenen Mann begehrt zu werden. Bürgerliche Mädchen und Frauen bekam er nur selten zu sehen, denn sie waren durch die Segregation vom Rest der Gesellschaft getrennt. Erst als Erwachsener wurde er mit ihnen verheiratet. Folglich ermöglichte ihm nur die Beziehung zu einem Mann jenes Ansehen, das ihm in einer Beziehung zu einer Hetäre oder Sklavin versagt blieb.
Erzieherische Aspekte[Bearbeiten]
Obwohl die Päderastie theoretisch jedem griechischen Bürger (nicht jedoch Sklaven und Fremden) offen stand, war es aufgrund des erhöhten Zeitaufwands und der wiederholten Schenkungen in erster Linie ein Privileg der Aristokraten. War die Werbung erfolgreich, genoss der Erastes ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Üblicherweise entwickelte sich nun eine pädagogisch gefärbte Beziehung, deren Ziel die umfassende Ausbildung des Eromenos durch den Erastes war. Dieser sollte dem Jungen jene Werte vermitteln, die aus dem Knaben einen sittlichen und guten Mann machen würden. Daher galt es z.B. in Sparta als besonders fein, wenn sich ein Mann vom vorbildlichen Charakter des Jungen und nicht von dessen Körper sexuell angezogen fühlte. In einem solchen Verhältnis hätte es nun dieser Idealisierung zufolge keinen sexuellen Kontakt gegeben.
Rom[Bearbeiten]
Päderastische Beziehungen zwischen meist unfreien Knaben und erwachsenen römischen Bürgern waren bis ins zweite Jahrhundert nach Christus nur offiziell verboten. Dabei verschwand der erzieherisch-rituelle Aspekt der Päderastie in den meisten Fällen. Die Päderastie verlor im Laufe der Jahrhunderte trotz berühmter Beispiele wie der Beziehung zwischen Kaiser Hadrian und Antinous immer mehr an gesellschaftlicher Akzeptanz und verschwand schließlich mit dem Aufkommen des Christentums vollständig. Die Androhung der Todesstrafe durch Verbrennung stammt aus dem vierten Jahrhundert nach Christus.
Nachklassische und moderne Formen[Bearbeiten]
Europa[Bearbeiten]
Eine (möglicherweise nicht ganz ernst gemeinte) philosophische Verteidigung dieser Praxis stellte Antonio Rocco in seiner berüchtigten Polemik L’Alcibiade, fanciullo a scola (Alcibiades der Schuljunge) dar, in der der Lehrer nach und nach die Einwände seines schönen Schülers gegen fleischliche Beziehungen überwindet. Zur gleichen Zeit benutzte die katholische Kirche alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um die „Verderbtheit durch Sodomie“ zu bekämpfen, sei es unter Nutzung von Inquisitions-Gerichten oder der weltlichen Justiz. Männer mussten Geldstrafen zahlen oder wurden inhaftiert, Jungen wurden ausgepeitscht. Die grausamsten Strafen, wie das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, waren gewöhnlich auf die Ahndung von Verbrechen gegen sehr junge Kinder und sexuelle Handlungen unter Gewaltanwendung beschränkt.
Päderastie führte zusammen mit einem fortwährenden Unwohlsein bezüglich gleichgeschlechtlicher Beziehungen dazu, dass nordeuropäische Autoren päderastische Tendenzen den Völkern aus südlicheren Gefilden zuschrieben. Richard Francis Burton entwickelte seine Theorie der Sotadic zone, einem Gebiet, das etwa von 43° bis 30° nördlicher Breite reiche und sich von den westlichen Küsten des Mittelmeeres bis zum Pazifischen Ozean erstrecke. Wilhelm Kroll behauptete Ähnliches in der Pauly-Wissowa-Enzyklopädie von 1906: „Die Wurzeln der Päderastie finden sich vor allem in der Existenz konträrer sexueller Gefühle, die wahrscheinlich in südlichen Regionen häufiger anzutreffen sind als in Ländern mit gemäßigtem Klima.“ (Dieses Zitat ist rückübersetzt aus dem Englischen.)
Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte sich der Konflikt um die Päderastie. So prangerte Friedrich Engels in seinem Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ die antiken Griechen wegen der „Widerwärtigkeit der Knabenliebe“ an.[2]
Otto Dornblüth gab zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Bedeutungen des Wortes „geschlechtlichen Mißbrauch von Knaben“, aber auch jeglichen Analverkehr an.[3]
China[Bearbeiten]
Nach Art der Akademiker
Aus Hua Ying Chin Chen (Abwechselungsreiche Positionen der Blumenschlacht) China, Ming Dynastie (1368–1644)
Im China des 10. Jahrhunderts bestanden männliche Paare aus einem Älteren (chinesisch契兄, W.-G. ch’i hsiung) und einem Jüngeren (契弟, ch’i ti). Die Begriffe bedeuten wörtlich verschworener älterer/jüngerer Bruder. In der chinesischen Kultur ist es üblich, Beziehungen als fiktive Verwandtschaftsbeziehungen aufzufassen. Die Knaben-Ehen, die aufrechterhalten wurden, bis der jüngere Partner eine Frau gefunden hatte (oft mit Hilfe des Älteren), scheinen ein Teil der Kultur der Provinz Fujian in vor-modernen Zeiten gewesen zu sein. Die Eheschließungen sollen in den beiden Familien auf traditionelle Art und Weise gefeiert worden sein, einschließlich dem „Neun-Teetassen“-Ritual. Die Popularität dieser päderastischen Beziehungen in Fujian, wo es für sie sogar einen Schutzgott gab (Hu Tianbao), führte zu einem der euphemistischen Ausdrücke für gleichgeschlechtliche Liebe: „die südliche Sitte“. Das Interesse von Männern an männlichen Jugendlichen spiegelte sich auch in der Prostitution wider. So erzielten junge männliche Sex-Arbeiter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts höhere Preise als ihre weiblichen Gegenstücke.
Mittelamerika[Bearbeiten]
Bernal Díaz del Castillo berichtete in seinem Buch Wahrhafte Geschichte der Eroberung von Neuspanien, dass die mexikanischen Völker regelmäßig päderastische Beziehungen unterhielten.Obwohl man annimmt, dass die Maya in der Frühzeit deutlich gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen eingestellt waren, machten spätere Maya-Staaten Gebrauch von päderastischen Praktiken. Ihre Einführung wurde dem Gott Chin zugeschrieben. Ein Aspekt war z.B., dass ein Vater seinem Sohn einen jüngeren Liebhaber verschaffte. Juan de Torquemada erwähnt, dass, falls der jüngere Junge von einem Fremden verführt wurde, die Strafe vergleichbar mit der für Ehebruch war.
Literatur[Bearbeiten]
- Carola Reinsberg: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. C.H. Beck Verlag, München 1989, ISBN 3-406-33911-5
- Harald Patzer: Die Griechische Knabenliebe, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1982. In: Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Vol. 19 No. 1.
- Kenneth J. Dover: Homosexualität in der griechischen Antike. C.H. Beck Verlag, München 1983, ISBN 3-406-07374-3
- Thomas K. Hubbard: Homosexuality in Greece and Rome. Univ. of California Press, Berkeley 2003, ISBN 0-520-23430-8
- William A. Percy III.: Pederasty and Pedagogy in Archaic Greece. Univ. of Illinois Press, 1998, ISBN 0-252-06740-1
- Eva Cantarella, Cormac O Cuilleanain. Bisexuality in the Ancient World, Yale University Press, 1992. ISBN 0-300-04844-0
- Dominique Fernandez: A Hidden Love. Art and Homosexuality, Prestel Verlag, 2002, ISBN 3-7913-2704-6
- Cécile Beurdeley: L’ Amour Bleu. Die homosexuelle Liebe in Kunst und Literatur des Abendlandes, Taschen Verlag, 1994, ISBN 3-8228-9121-5
- Joachim Campe: Matrosen sind der Liebe Schwingen. Homosexuelle Poesie von der Antike bis zur Gegenwart., Insel Verlag, 1994, ISBN 3-458-33299-5
- Elisar von Kupffer: Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur, Nachdruck der Ausgabe von 1900 mit einem Vorwort von Marita Keilson-Lauritz, 1995, ISBN 3-86149-034-X
- Wolfram Setz: Das Hohelied der Knabenliebe. Erotische Gedichte aus der griechischen Anthologie, Rosa Winkel Verlag, Berlin 1987, ISBN 3-921495-64-4
Siehe auch[Bearbeiten]
- Neoterophilie
- Ephebophilie
Fußnoten[Bearbeiten]
- ↑ Carola Reinsberg: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. C.H. Beck Verlag, München 1989, ISBN 3-406-33911-5
- ↑ Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. Band 21, 5. Auflage. (Karl) Dietz Verlag, Berlin/DDR 1975, S. 36–84.
- ↑ Otto Dornblüth, Klinisches Wörterbuch, 13/14 Auflage, 1927
Weblinks[Bearbeiten]
Commons: Pederasty– Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
- The Androphile Project – The World History of Male Love: Male Love in Greece
- Growing Up Sexually: A World Atlas – umfangreiche Literatur- und Datensammlung über Sexualverhalten
Dieser Wikipedia-Artikel wurde, gemäß GFDL, CC-by-sa mit der kompletten History importiert.